„Den Wert eines Menschen erkennt man erst, wenn es zu spät ist“, schrieb einst die Schriftstellerin Katharina Eisenlöffel. Aber so weise ihre Worte auch klingen, an den Onlinehandel dachte die Autorin dabei hoffentlich nicht.
Denn für Händler:innen ist die Kenntnis über den Wert jeder einzelnen ihrer Geschäftsbeziehung von großer Bedeutung. Die Betriebswirtschaft nennt diese Zahl den Customer Lifetime Value (CLV; Deutsch in etwa: Kundenertragswert). Warum der CLV so wichtig für den Erfolg deines Onlineshops ist, wie du ihn berechnest und wo seine Grenzen liegen, erklären wir dir in diesem Beitrag.
CLV Definition: Was ist der Customer Lifetime Value?
Der CLV, also Customer Lifetime Value, gehört zu den wichtigsten Metriken der Betriebswirtschaft. Er beschreibt den Deckungsbeitrag, das heißt die Differenz zwischen Umsatz und variablen Kosten, den eine Kundin oder ein Kunde im Laufe ihrer Geschäftsbeziehung zu einem Unternehmen realisiert.
In die Berechnung des CLV können sowohl historische Kundendaten als auch Prognosen über das zukünftige Verhalten der Kundschaft einfließen. Weiterhin ist es möglich, den CLV auf einen Betrachtungszeitpunkt zu diskontieren – bedeutet den erwirtschafteten Betrag über die zu erwartende Lebensdauer der Geschäftsbeziehung abzuzinsen.
Auf Hochdeutsch: Der CLV ist ein Wert, der dir verrät, wie viel Geld du an einem Kunden verdienst, solange sie deine Kundin ist – entweder als Durchschnitt über deine gesamte Kundschaft oder aufgeschlüsselt auf jede einzelne Geschäftsbeziehung.
CLV Bedeutung: Warum ist der Customer Lifetime Value im Onlinehandel so wichtig?
Um zu verstehen, warum der CLV als Kennzahl solch eine große Bedeutung besitzt, müssen wir uns zunächst eine wichtige Tatsache bewusst machen:
Kund:innen kosten Geld – duuuuuh.
Natürlich sorgen deine Kund:innen für Umsatz, ganz umsonst ist dieser Umstand allerdings nicht. Entscheidend für eine lebendige Geschäftsbeziehung sind zwei große Ausgabenposten:
Customer Acquisition Cost (CAC): Um neue Kund:innen zu akquirieren, musst du zunächst investieren – in dein Marketing, deinen Shop-Auftritt oder deine Social-Media-Präsenz. Das bedeutet, bis jemand das virtuelle Portal deines Stores durchschreitet, machst du mit dieser Person vor allem Verlust.
Customer Retention Cost (CRC): In den meisten Fällen sollen Menschen nicht nur einmal bei dir einkaufen, sondern am besten immer wieder. Um das zu erreichen, werden ebenfalls Investitionen fällig. Zum Beispiel in einen Newsletter, in Rabattaktionen für Stamm:kundinnen, in die Produktentwicklung wie Zubehör oder ins Content-Marketing.
Lesetipp: Alle Informationen zu potenziellen Neukund:innen im Blick behalten mit Conversion Tracking
Behältst du diese beiden Kostenpositionen im Blick, wird schnell offensichtlich, wieso der CLV als Kennzahl immanent wichtig ist:
Wenn die Neuakquise einer Kundin dich durchschnittlich 50 EUR kostet, muss sie für mindestens diesen Betrag bei dir einkaufen, um wenigstens für einen neutralen Deckungsbeitrag zu sorgen. Ein Stammkunde, der jeden Monat 300 EUR bei dir lässt, ist deutlich wertvoller als ein einmaliger Besucher.
Weißt du, wie viel Geld du voraussichtlich an einem bestimmten Kaufenden verdienen wirst – kennst also den Customer Lifetime Value – weißt du auch, wie hoch deine Investition in diese Person sein sollte, um maximal profitabel zu wirtschaften.
Diese Tatsache lässt sich weiter herunterbrechen:
Der CLV in den einzelnen Abteilungen deines Unternehmens
Als Metrik ist der Customer Lifetime Value nämlich ein Universalwert, der in zahlreichen Abteilungen deines Business zum Einsatz kommt. Und ja, das gilt auch, wenn du mit deinem Shop bislang nicht zum Global Player aufgestiegen bist, sondern sich deine Abteilungen noch auf eine Handvoll Menschen (oder nur dich selbst) vereinigen. Als Beispiel:
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Marketing: Für das Marketing ist hauptsächlich die Customer Acquisition Cost entscheidend. Kann die CAC optimiert werden, ergibt sich automatisch ein höherer CLV.
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Vertrieb: Wissen deine Vertriebler:innen, welche Kund:innengruppen besonders profitabel sind, können sie ihre Strategien anpassen und deine Wunschkund:innen gezielt ansprechen.
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IT-Entwicklung: Wenn der CLV in einer bestimmten Zielgruppe besonders hoch ist, können die Entwickler:innen deinen Shop auf genau diese Menschen ausrichten und sie bereits auf der Startseite abholen.
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Service: Wer ruft da an? Die Stammkundin, die nach drei Jahren ihre erste Retoure anmeldet oder der Querulant, der ständig seine gesamte Bestellung zurücksendet? Kenntnis über den CLV verrät deinem Service, wie er im Einzelfall handeln sollte.
- Produktentwicklung: Was kaufen Kund:innen mit hohem CLV gerne und oft? Wie lassen sich ihre Wünsche mit neuen oder verbesserten Produkten erfüllen? Auch diese Informationen kannst du aus dem Customer Lifetime Value ableiten.
Der CLV verrät dir demnach nicht nur, wie hoch deine Investitionen ausfallen dürfen, um profitabel zu operieren und welchen Kund:innen du besonders viel Aufmerksamkeit schenken solltest. Er liefert dir auch wichtige Informationen für so ziemlich jeden Geschäftsbereich im Onlinehandel. Die große Frage lautet daher: Wie kommst du an diese magische Zahl?
CLV-Mathematik: Wie berechnest du den Customer Lifetime Value
Zur Berechnung des CLV existieren unterschiedliche Methoden, die von relativ einfach, aber grob, hin zu extrem detailliert und komplex reichen. Drei dieser Berechnungsmethoden möchten wir dir zeigen:
Methode #1: Quick and Dirty – Berechnung über die Kundenlebensdauer und Kundenbindungsrate
Die erste Methode erlaubt dir, den durchschnittlichen CLV deines Shops anhand einiger weiterer Kennzahlen und mithilfe eines handelsüblichen Taschenrechners zu bestimmen. Diese Werte musst du kennen:
- (B): Anzahl der Kund:innen zu Beginn des betrachteten Zeitfensters
- (E): Anzahl der Kund:innen zum Ende des betrachteten Zeitfensters
- (N): Anzahl der Neukund:innen, die im betrachteten Zeitfenster gewonnen werden
- (D): Durchschnittlicher Deckungsbeitrag in deinem Shop
- (W): Die Wiederverkaufsrate – wie oft kauft eine Kundin erneut bei dir ein
- (A): Akquisekosten pro Kunde/Kundin
Ganz ohne Kenntnisse über einige Stammdaten deines Shops geht es also nicht. Um an diese zu gelangen, helfen dir Analysetools wie Shopify Analytics oder Google Analytics 4.
Lesetipp: So funktionieren Shopify Analytics & Google Analytics 4
Kennst du alle relevanten Werte, berechnest du zunächst die Kundenbindungsrate mithilfe dieser Formel:
Anschließend bestimmst du die durchschnittliche Kundenlebensdauer mit der Formel:
Kennst du nun auch die Kundenlebensdauer, kannst du abschließend den Customer Lifetime Value berechnen:
Die Berechnung erfolgt hier auf einen Zeitraum von einem Jahr.
Methode #1 als Zahlenbeispiel
Zu viele Buchstaben? Dann ersetzen wir sie für dich gerne einmal durch Zahlen. Dazu nehmen wir folgende Werte an:
- (B): 500 Kund:innen zu Beginn
- (E): 800 Kund:innen zum Ende
- (N): 400 Neukund:innen im Zeitfenster
- (D): 50 € Deckungsbeitrag
- (W): 5 Wiedereinkäufe pro Kunde
- (A): 20 € Akquisekosten pro Neukundin
Kundenbindungsrate:
Kundenlebensdauer:
Customer Lifetime Value:
Durch die von uns gewählten Zahlen kommen wir also auf einen CLV von 1.230 EUR pro Kundin/Kunde.
Methode #2: Langfristige Berechnung über die Kapitalwertmethode
Unsere erste Methode ist zwar praktikabel, allerdings vernachlässigt sie einen wichtigen Faktor: Geld verliert im Laufe der Zeit an Wert; 1.000 EUR, die du heute besitzt, haben in fünf Jahren weniger Kaufkraft. Diesem Umstand wird die Kapitalwertmethode mithilfe einer Abzinsung gerecht.
Um sie anwenden zu können, musst du folgende Werte kennen:
- (E): Die durchschnittlichen Einnahmen pro Kundin
- (A): Die durchschnittlichen Ausgaben pro Kunde
- (T): Die Dauer des betrachteten Zeitraumes
- (i): Den aktuellen Zinsfaktor
Die Formel selbst sieht so aus:
Falls dich das merkwürdige E am Anfang der Formel irritiert: Das ist das Summenzeichen. Du beginnst deine Berechnung mit t = 0 und rechnest den Bruch in der Summe aus. Anschließend erhöhst du t um 1, rechnest den Bruch erneut aus und addierst das zweite Ergebnis zum ersten Ergebnis. Dieses Spielchen wiederholst du so lange, bis dein kleines t deinem großen T entspricht.
Für kleine Werte von T lässt sich das noch per Hand lösen, für größere T empfehlen wir mindestens einen wissenschaftlichen Taschenrechner.
Methode #2 als Zahlenbeispiel
Der Anschaulichkeit halber auch hier die Formel noch einmal mit Zahlen. Es sei:
- (E): 300 € durchschnittliche Einnahmen pro Kundin.
- (A): 25 € durchschnittliche Ausgaben pro Kunde
- (T): 3 Zeiteinheiten (diese kannst du selbst beliebig definieren)
- (i): 5 % Zinsen, als Zinsfaktor also 0,05
Daraus ergibt sich:
In diesem Fall kommen wir also auf einen CLV von 1.023 EUR.
Methode #3: Predictive CLV mithilfe von Machine-Learning-Modellen
Unsere ersten beiden Methoden besitzen einen gewaltigen Nachteil: Sie beziehen sich auf reine Durchschnittsdaten, erlauben also keine exakten Aussagen zu bestimmten Kund:innen. Ein Großteil des Informationsgehalts des CLV geht hier verloren. Besser wäre es, den Wert für jede Kundin und jeden Kunden einzeln zu berechnen.
Auch dies ist händisch durchaus möglich, aber wie viel Arbeit dahintersteckt, kannst du dir vermutlich vorstellen. Doch zum Glück haben findige Köpfe den Computer erfunden und gemeinsam mit ihm Algorithmen, die in der Lage sind, den CLV pro Kund:in zuverlässig vorherzusagen.
Predictive CLV nennt sich diese Methode und je nach Komplexität des gewählten Programms können jede Menge Daten in die Berechnung einfließen: Alter, Geschlecht, Retourenquote, die Tage seit dem letzten Einkauf, die Kauffrequenz, die Anzahl der gekauften Artikel, der Bestellweg, die Dauer der Kundenbeziehung oder sogar die Affinität für bestimmte Marken.
Lesetipp: Relevante Daten selbst sammeln und auswerten mit dem Google Tag Manager
Aus all diesen Daten berechnet eine KI die Wahrscheinlichkeit, dass eine Kundin innerhalb eines bestimmten Zeitraumes erneut bei dir einkauft, multipliziert sie mit dem zu erwartenden Warenwert und bestimmt so den individuellen Customer Lifetime Value.
Wenn du wirklich wissen möchtest, wer deine Top-Kund:innen sind, auf welches Bevölkerungssegment du dein Angebot zuschneiden solltest oder wen du mit deiner nächsten Marketingkampagne unbedingt abholen musst, greifst du nicht selbst zum Taschenrechner, sondern fragst den Algo. Durch eine kurze Suche im Shopify App Store findest du die passende Lösung wie Lebesgue.
Shopify Nerds erklären: Wie verbessere ich den Customer Lifetime Value?
Den CLV zu kennen ist leider nur die halbe Miete, denn die Neukundenakquise gehört zu den teuersten Unternehmungen im Onlinehandel. Am profitabelsten operierst du, wenn du deinen bestehenden Kund:innenstamm dazu animierst, teurer und/oder öfter bei dir einzukaufen.
Lesetipp: Verliere weniger teuren Erstbesucher:innen mit Conversion Rate Optimierung
Dein Ziel heißt demnach nicht, viele kleine CLVs zu addieren, sondern besser auf eine gesunde Anzahl hoher CLVs zuzusteuern. Zum Beispiel so:
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Guter Kundenservice: Eine positive Einkaufserfahrung ist der Hauptgrund für Wiedereinkäufe, volle Warenkörbe und damit einen hohen individuellen CLV. Dazu gehören aussagekräftige Produktbilder, ebenso informative wie unterhaltsame Produktbeschreibungen, schnelle Lieferung, beste Beratung, kulante Retourenbedingungen und alles, was du dir selbst für deinen eigenen Einkauf im Web wünschst.
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Loyalitätsprogramme: Niemand ist begeistert von Handyprovidern, denn dort bekommen Neukund:innen die tollen Verträge und Rabatte, während die Stammkundschaft ordentlich draufzahlt. Wenn du keine Langzeitknebelverträge verkaufst (please don’t), gehst du also besser den umgekehrten Weg: Belohne deine Kernkundschaft mit Rabatten, Aktionen und kleinen Geschenken, denn das steigert den Customer Lifetime Value.
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Up-Selling und Cross-Selling: Warum die Festplatte mit einem Terabyte, wenn die Zwei-Terabyte-Platte nur 20 EUR mehr kostet? Möchten Sie zu Ihrem neuen Rennrad vielleicht noch eine praktische Trinkflasche und natürlich den Helm? Up-Selling und Cross-Selling erhöhen den Warenkorbwert (AOV), werden als gute Serviceleistung wahrgenommen und verbessern den Customer Lifetime Value.
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Angebot ergänzen: Up und Cross kannst du natürlich nur sellen, wenn dein Shop ein entsprechendes Angebot bereithält. Finde daher – etwa über eine Kund:innenbefragung – heraus, was den Menschen bei dir noch fehlt. Ein wenig betriebsblind ist jede:r von uns und übersieht oft den einen Artikel, der zu einem deutlich besseren CLV führt.
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E-Mail-Marketing nutzen: Keiner mag Spam, aber dein Newsletter ist natürlich viel besser. Dort finden Kund:innen nur, was sie wirklich interessiert, weil jede Mail genau auf ihre:n Empfänger:in zugeschnitten ist, oder? Wenn es dir gelingt, einen wirklich guten Newsletter zu verfassen, ist E-Mail-Marketing eine der schnellsten und günstigsten Methoden, deinen Customer Lifetime Value zu pushen.
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Butter bei die Fische: Wo liegen die Grenzen des Customer Lifetime Value?
Abschließend ein wichtiger Hinweis: Wie alle betriebswirtschaftlichen Kennzahlen ist auch der Customer Lifetime Value kein absoluter Heilsbringer. Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe:
Erstens besitzt er nicht für jede Art von Shop den gleichen Wert. Verkaufst du zum Beispiel ausschließlich Brautkleider, solltest du nicht mit „10 % Rabatt auf deinen nächsten Einkauf bei uns!" werben und dich auch nicht darauf einstellen, deine Kund:innen schnell wiederzusehen. Der CLV pro Kund:in beschränkt sich hier auf einen einmaligen Einkauf und ein wenig Cross-Selling. Deutlich wichtiger als ein hoher CLV wäre hier etwa das Empfehlungs-Marketing durch glückliche Brautpaare, damit noch mehr Menschen bei dir shoppen.
Zweitens beruht die Berechnung des Customer Lifetime Value immer auf Vorhersagen – und die sind selbst dann nicht absolut genau, wenn sie von der klügsten KI der Welt getroffen werden. Denke nur mal an die Ereignisse der letzten Jahre: Pandemie, Ever Given, Ukrainekrieg … Wer hat wirklich damit gerechnet und wann schreibt Billy Joel endlich neue Strophen zu We Didn’t Start the Fire? Die Stammdaten deiner Kund:innen ermöglichen zwar Voraussagen über das individuelle Einkaufsverhalten, allerdings nicht über globale Krisen.
Betrachte den CLV genau wie alle anderen Metriken daher immer nur als Richtwert und Leitlinie, nicht als Dogma und die Zahl aller Zahlen.
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Was sind dir deine Kund:innen wert?
Jetzt kennst du dich in Sachen Customer Lifetime Value bestens aus. Der Wert liefert dir wertvolle Informationen für so gut wie alle Abteilungen deines Unternehmens; um ihn zu berechnen, hast du mehrere Methoden kennengelernt, aber weißt auch, dass du diese Arbeit langfristig am besten einer Software anvertraust.
Möglichkeiten, den CLV zu verbessern, hast du jetzt ebenfalls auf dem Schirm und weißt auch, dass es zwar gut ist, den Customer Lifetime Value zu kennen, du aber niemals nur auf diese eine Metrik setzen solltest.
Falls du jetzt noch Fragen hast oder ein Team suchst, das dir hilft, deinen eigenen CLV auf Vordermann (oder Frau!) zu bringen, dann kontaktiere uns. Wir zeigen dir gerne, was unsere Arbeit wert ist, lange, bevor es zu spät ist.
Coverbild: Madison Oren; weitere Bilder: Pablo Merchan, Anoushka Puri, Eshop Guide